Lazarus

David Bowie ist tot. Während die Welt - also Musikkritiker und Fans - sich darüber freute, dass das gerade erschienene Album Blackstar ein Aufbruch ins alle Konventionen über Bord werfende Alterswerk sein könnte, verließ der Künstler still und unbemerkt, im Kreise seiner Familie, diese Welt.

David Bowie hat bis zum Schluss die Kontrolle gehabt. Und so imponiert zunächst die Würde, die der Meister der Selbstinszenierung bewahren konnte. Er entzog sein Sterben nicht nur komplett den Augen der Öffentlichkeit - er inszenierte darüber hinaus seinen eigenen Abschied.

Das Verstörende an diesem plötzlichen Ereignis ist, dass eben auch ein David Bowie, Inbegriff für die Fähigkeit des menschlichen Geistes zur steten Neuerfindung, sterblich ist. Auch wenn die Spuren des Alters schon in den Videos zum letzten Album The Next Day zu sehen waren.

David Bowie aber, als ob es nicht anders sein könne, schlüpft am Ende noch einmal in eine neue Rolle: in die des Lazarus, der von Jesus vom Tod auferweckt wurde. Tatsächlich scheint Bowie mit Hilfe der Kunst den Tod zu besiegen. Als die Nachricht von Bowies Tod um die Welt ging, begann der bis dahin geheimnisvolle, rätselhafte Blackstar zu funkeln - und langsam aber deutlich seine wahre Gestalt zu offenbaren: Inmitten des Lebens sind wir des Todes.

Ungachtet der düsteren Botschaft ist Blackstar der erste Chartstürmer des neuen Jahres. Ein Album, das roh und ungestümt klingt, das dermaßen unter Druck steht und in viel zu kurzer Zeit viel zu viel will, dass man es kaum einmal am Stück hören kann, landet auf Platz 1 der Hitparaden.

Look up here, I'm in heaven
I've got scars that can't be seen

I've got drama, can't be stolen

Everybody knows me now

Jeder, aber auch jeder (ich eingeschlossen), muss von Bowie sprechen. Die BILD-Leser bekommen ihr Bowie-Bild, jeder - aber auch wirklich jeder - Musiker gibt seine Verstörung zu Protokoll, selbst das Auswärtige Amt dankt einem einzigartigen Künstler und Helden. Ja: Es gibt wohl nur noch wenige Menschen, die David Bowie jetzt immer noch nicht kennen.

Oder siegt am Ende doch nicht die Kunst? Zeigt Bowie gerade in dieser - man möchte sagen posthumen Inszenierung - wie jede Kunst auf den Körper angewiesen ist, werden Ewigkeit und Ruhm auf die billigeren Plätze verwiesen? Steckt in der merkwürdig ungefilterten „Kraftmeierei“ seiner letzten Aufnahmen der Aufschrei der zum Sterben verdammten Kreatur? Und spottet genau das nicht unserer verflixten Sehnsucht, in der Kunst die Aufhebung des Todes zu sehen? Was bedeutet die Ewigkeit angesichts des Leidens einer Kreatur?

Nein, Bowie ist uns nicht, wie irgendwo zu lesen, wieder einmal einen Schritt voraus. Denn jeder stirbt für sich allein. Indem Bowie dieses Zeugnis seines Sterben hinterlässt, hinterlässt er uns einen ziemlich unverdaulichen Brocken. Inmitten des Lebens sind wir des Todes. Danke für die Verstörung. Und für alles andere natürlich auch.