Die Exerzitien
In seinem neuesten Buch, Das Alphabet der Lebenskunst, schreibt Frank Berzbach:
“Selbst die religiöse Wahrnehmung folgt einer ganz kindlichen Regung: Woanders schmeckt das Essen besser. Die Fähigkeit, an allem Ostasiatischen nur das Heilsame zu sehen, steht im Widerspruch zur verzerrten Perspektive auf die christliche Kultur.“
Es geht um die Ungleichzeitigkeit aktueller Entwicklungen: Während der spirituelle Hunger der Menschen hierzulande ungebrochen scheint, Meditation, Yoga und Achtsamkeit nicht nur trendy sondern zunehmend anerkannte Techniken für die vielbeschworene Selfcare sind, laufen den Kirchen die Mitglieder weg und schwindet deren gesellschaftliche Rolle. Dabei ist in der christlichen Tradition alles vorhanden, was die ostasiatische Spiritualität so anziehend für gebeutelte Westeuropäer*innen macht - siehe dazu etwa die ungemein inspirierenden Gedanken eines Hobbymönchs von Jürgen Sammet. Aber: Buddhismus ist einfach cooler.
Dabei waren es Christen, die etwa das Zen nach Europa brachten, genauer: Jesuiten.
Die Jesuiten gehören der Societa Jesu an, die im 16. Jahrhundert in Spanien von einem einstigen Soldaten gegründet wurde. Der Orden ist noch heute weltweit tätig – ich selbst habe oft genug an Zen-Sesshins in Exerzitienhäusern der Jesuiten teilgenommen. Ich erinnere mich an eine herzliche Spiritualität, an Stille, Einfachheit und Zurückgezogenheit. Die „geistigen Übungen“ des Ordensgründers Ignatius von Loyola, die er in seinem Werk Die Exerzitien 1526 beschrieb, bilden noch heute die Grundlage der Glaubenspraxis bei den Jesuiten – und sie haben zahlreiche Berührungspunkte mit ostasiatischen Praktiken.

Das immer wieder verlegte Büchlein wurde nun in der Reihe Theologische Brocken des Matthes & Seitz Verlags neu veröffentlicht; neben dem hübsch anzusehenden Cover ist es vor allem die Einführung Im Banne des authentischen Lebens von László F. Földényi, die die Neuausgabe auszeichnet. Denn ganz ehrlich: ein „Brocken“ ist das Werk von Ignatius von Loyola in jedem Fall. Blättert man durch die mit äußerster Exaktheit aufgeschriebenen Übungen, versteht man ein wenig, warum es der Buddhismus leichter hat als die christliche Mystik: er hat ihr den Wellness-Faktor voraus. Doch Meditation und Kontemplation haben mit Wellness wenig zu tun!
Mit soldatischer Härte und strenger Logik erörtert der Ordensgründer nach schwerer Krankheit und einem mystischen Erlebnis, wie Földényi beschreibt, wie sich Ordnung ins Leben und das Leben in Einklang mit Gott (aka dem Unendlichen, dem Sein, der Liebe etc.) bringen lässt:
“Das Unendliche war für ihn nicht etwas, das jenseits von ihm war, ein neutrales Objekt seiner Betrachtung, sondern etwas, dessen Teil er selbst war. Erlebnishaft wird das Unendliche dann, wenn man akzeptiert, dass man ein Teil der Allheit und das eigene Dasein fast nichts ist.“
Die Exerzitien des Ignatius haben ein inneres Wachsen zum Ziel – und genau das ist es, was viele Menschen in modernen spirituellen Praktiken suchen. Ignatius von Loyola sucht dabei nach Christus im Menschen: als einem inneren Bild zur Auseinandersetzung, Bewusstwerdung, Vervollkommnung. Es ist keine Weltflucht, wenn man sich auf eines der auf den Ordensgründer zurückgehenden Schweige-Exerzitien einlässt: es schärft die Sinne und macht durchlässiger für die Welt jenseits der eigenen Gedankenkonstrukte. Wie das geht ist zwar nachzulesen in dem schmalen Band der Geistlichen Übungen - den darin beschriebenen Weg aber gilt es zu gehen.