Das Geheimnis des Galiläers

Wer war Jesus wirklich?

Um nichts weniger als diese Frage geht es in dem "Nachtgespräch", das der Theologe Gerhard Lohfink in Das Geheimnis des Galiläers dokumentiert; mit seiner Form – halb Theatergespräch, halb Podiumsdiskussion, mal Vorlesung, dann Seminar – beschreitet das Buch bewusst Wege jenseits des klassischen Sachbuchs, selbst Pausen, mitternächtliche Snacks, die Bücher in der Bibliothek oder der nahende Morgen sind penibelst verzeichnet.

"Nachtgespräch": das klingt poetisch, bleibt aber bei Lohfink leider eine ziemlich hölzerne Angelegenheit. Mag da auch ein reales Geschehen zugrunde liegen, im Buch wirkt das alles recht konstruiert, ohne die Zwischentöne, die es in einem Gespräch ja doch immer gibt. Aber eben auch ohne die inhaltliche und sprachliche Präzision, die man als Leser von einem Essay oder einem Sachbuch erwarten würde.

Lohfink möchte die "Frage nach dem wahren Anspruch Jesu" behandeln und zugleich die "Wucht und Schönheit möglichst vieler Jesusworte" vermitteln. Vorweg gesagt: das gelingt ihm nicht. Zum einen aus den oben genannten formalen Gründen. Zum anderen aber auch wegen einer verbitterten Kampfeshaltung gegen die Jesusforschung und die historische Bibelwissenschaft, die weite Teile des Gesprächs dominiert. Dem "Schrecken der Wissenschaft" und dem "Gestrüpp der Jesusforschung" stellt der emeritierte Professor, die Wahrheit an seiner Seite, eine schulmeisterliche Erörtung einzelner Jesus-Worte gegenüber, an deren Echtheit niemand zweifeln darf. Dabei lässt sich bei Lohfink durchaus etwas über die genaue Lektüre – nicht nur der Bibel – lernen.

Ich muss immer damit rechnen, dass mir in einem Text das ganz Andere begegnet, das meine eigenen Erfahrungen weit übersteigt.

Die halbe Nacht wird nun darauf verbracht, dass der Lehrer mit seinem aus dem anderen Ende der Republik angereisten Schüler (der sich tagelang in der Bibliothek auf dieses Gespräch vorbereitet hat) Jesus-Wort für Jesus-Wort auf rhetorische Figuren und provozierende Bilder hin abklopft. Bei den ersten drei Fundstellen mag das noch für Erkenntnisgewinne sorgen, danach überwiegt das Gefühl der Bevormundung. Didaktik mit dem Holzhammer, ohne Witz und Pointe.

Dass Lohfink viel zu erzählen hat, steht außer Frage; in der Front gegen die liberale "Verharmlosung Jesu", im Kampf gegen die Zweifel an der Echtheit des Überlieferten und in der unglücklich gewählten Form aber bleibt davon viel auf der Strecke. Seine Stärke hat das Buch dort, wo Lohfink's Alter Ego die Reich-Gottes-Botschaft Jesu in knappen Worten auf den Punkt bringt. Oder dort, wo die beiden Gesprächspartner früh am Morgen an der "erschreckenden Unmittelbarkeit Jesu zu Gott" kratzen. Just diese aber wird dann zugleich in Stellung gebracht gegen die Abgründigkeit und Verlorenheit der Welt.

Wenn man älter wird, und die Verlorenheit der Welt schärfer wahrnimmt – nicht nur in der Gesellschaft, nicht nur bei den anderen, sondern auch bei sich selbst, dann blickt man immer beharrlicher auf Jesus,

Eine konservative Rhetorik, die ich zumindest problematisch finde. Noch dazu, wo sie in einem Gespräch erscheint, oberflächlich angerissen nur wegen der "fehlenden Zeit", und ohne Widerrede, Rückfrage, Gegenposition bleibt. Hier hätte die eigentliche Chance eines solchen "Nachtgesprächs" bestanden: im Dialog verschiedener Glaubenspositionen. Stattdessen sitzt man an der Seite eines zwar intelligenten, aber auch merkwürdig unbedarften Schülers, und lauscht den seitenlangen Ausführungen des Lehrers.

Wenn man derart viel über Jesus geredet wie wir in dieser Nacht, so schämt man sich fast. Wir dürfen nicht zu viel reden. Wir müssen hören, was er uns sagt, und es dann tun,

wendet dieser, der Morgen graut schon, ein. Eine späte Erkenntnis, die, diesem Eindruck kann ich mich nicht erwehren, zwar Selbstkritik demonstriert – wiederum aber eigentlich auf Andere zielt: auf die Wissenschaftler, die mit ihrem Erkenntnisdrang die Wahrheit von Jesu kleinreden und auseinander nehmen. Dieser Verweigerung, die dem Buch zugrunde liegt, mag ich ganz und gar nicht folgen. Wer Jesus wirklich war? Wenn diese Frage überhaupt eine Relevanz hat, dann nur unter Rückgriff aller verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten.

Gerhard Lohfink: Das Geheimnis des Galiläers. Ein Nachtgespräch über Jesus von Nazaret. Herder 2019