In sich ruhen

Texte zum Zen

„Der in sich ruhende Mensch rechnet nicht mit Zeit“, schreibt Etty Hillesum am 12. März 1941 auf Deutsch in ihr Tagebuch. Tatsächlich ist dieses In sich ruhen etwas, worum Hillesum immer wieder kreist: ein Leben in Gelassenheit, in Dankbarkeit, in Vertrauen. „Jeder, der eine wichtige Arbeit in Angriff nimmt, sollte sich selbst vergessen.“

Die als Mystikerin bewunderte Jüdin, die 1943 in Auschwitz starb, ist mit ihren Gedanken, mit ihrem Leben, Glauben, Lieben längst anschlussfähig für ganz verschiedene Religionen und spirituelle Praxen geworden. Mir selbst begegnete sie das erste Mal vor etwa zehn Jahren in einem Vortrag während eines Zen-Sesshins. Nun hat die Zen-Meistern Doris Zölls ein Buch geschrieben, in dem sie der Frage nach dem In sich ruhen nachgeht. Dabei nimmt sie nicht auf Etty Hillesum Bezug, sondern beschäftigt sich mit der Weisheit des Zen-Meisters Rinzai, um herauszufinden, wie wir bei uns bleiben, in uns ruhen können, statt uns in der unruhigen, krisengeschüttelten Gegenwart zu verirren und zu verlieren.

Meister Rinzai lebte von 618 bis 907 in China. Er gilt als bedeutender Zen-Meister, als Begründer der nach ihm benannten Zen-Linie und taucht in vielen Koans auf, diesen merkwürdigen Geschichten, die Zen-Praktizierende mit den Grenzen des rational Fassbaren konfrontieren sollen. Rinzai werde, so Zölls, „nicht müde, seinen Mönchen und auch Laien zu zeigen, dass unser Denken begrenzt ist und überschritten werden muss“. Entscheidend sei die unmittelbare Erfahrung der Wirklichkeit jenseits unserer Muster und Prägungen.

Ganz ehrlich: Mit vielen zeitgenössischen Büchern über Zen kann ich wenig anfangen. Zu viel Ratgebertum, zu viele Worte für etwas, das Worte nicht erklären können. Heißt es doch im Zen schlichtweg: Setz dich auf dein Kissen und übe. Brad Warner hat das in Büchern wie Sit down and shut up aus meiner Sicht auf den Punkt gebracht, der weitere Erklärungen überflüssig macht. Und dann sind da natürlich die schwer zu lesenden Klassiker, allen voran Dogen Zenji, bei denen die Lektüre selbst meditative Übung ist. Da wird nichts erklärt, da verweisen die Worte auf ein Mysterium, das gleichzeitig ganz alltäglich und diesseitig ist. Ich war gespannt auf Doris Zölls’ Auseinandersetzung mit Rinzai – doch ihr Buch ließ mich dann eher ratlos zurück.

Doris Zölls: In sich ruhen. Weisheit und Lebenswissen des Zen-Meister Rinzai. Patmos Verlag 2025

Zölls hält sich gar nicht erst mit biographischen Banalitäten auf, eigentlich interessiert sie das Leben, das Sein des Meisters nicht. In umfangreichen Kapiteln forscht sie nach „Realität und Wahrheit“, nach „Leben und Tod“, „Verwirklichung“ und „Vollendung“. Einzelne Erzählungen aus dem Leben von Meister Rinzai, in Koans überliefert, sind für sie Stichwortgeber, um über Praxis und Philosophie des Zen zu referieren, wobei die Philosophie eindeutig im Vordergrund steht. Wo sie schon die chronologische Ordnung anhand von Lebensdaten und Stationen aus dem Leben Rinzais ausschließt, lässt sich über diese großen Kategorien keine wirkliche Ordnung erkennen. So wird das Lesen des Buches auf Dauer recht schwierig und zur Geduldsübung.

“Rinzai zeigt seinen Mönchen einen ganz anderen Weg auf, als mit dem Intellekt das Leben meistern zu wollen“,

schreibt Zölls. Das war ja auch der Grund, dieses Buch aufzuschlagen: Wie lebe ich bewusst, wie gelingt es mir, bei allen Anfechtungen der Wirklichkeit „in mir zu ruhen“? Zölls fährt zur Beantwortung dieser Frage jedoch ziemlich schwere Geschütze auf, Glaubenssätze fast, wo doch die Praxis so einfach ist, sein sollte. Dabei lässt sie leider oft die sprachliche Sorgfalt vermissen, die notwendig wäre: lange, gewundene Sätze, eine nicht ganz immer treffsichere Grammatik lassen ahnen, dass das hier Geschriebene ursprünglich zum Sprechen gedacht war. Gut möglich, dass diese Gedanken hier in Form von Vorträgen fruchtbar sind für die Zen-Praxis. In Buchform sind mir das schlichtweg zu viele Worte für etwas, das sich nicht in Worte fassen lässt.

Etty Hillesum hat das an jenem 12. März 1941 übrigens ganz alltagsnah formuliert und kommt mit wenigen Worten dem Geheimnis des Zen näher als Zölls auf den vielen Seiten dieses Buches:

“Du musst nicht ständig fragen, wie du dich jetzt fühlst, sondern du musst nur arbeiten, und im gegebenen Augenblick ist dann an die Stelle des eigenen Unbehaglich-Fühlens die Arbeit getreten, und so sollte das sein.“

Noch kürzer heißt es bei Rinzai: „Geht von einem Augenblick zum anderen.“ Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.