Die Abenteuer des Alexander von Humboldt

Ich habe lange überlegt, ob ich dieses gewichtige Werk (272 Seiten, 1460g!) wirklich in dem Bereich Kinder- und Jugendliteratur besprechen soll. Die opulent und vielschichtig bebilderte Entdeckungsreise auf dem amerikanischen Kontinent hält auch für Erwachsene jede Menge Informationen und Eindrücke bereit, die sich kaum bei einer Lektüre verarbeiten lassen. Doch gestoßen bin ich auf den Prachtband Die Abenteuer des Alexander von Humboldt über einen Unterrichtsvorschlag in der Zeitung Praxis Grundschule. Und neben all den Entdeckungen aus Biologie und Geologie erzählt diese Graphic Novel eben auch beeindruckend und inspirierend von Tugenden, von denen man Kindern und Jugendlichen nicht zu viel mitgeben kann: der Neugier, der Entdeckerfreude, dem Wissensdurst.

Die in London lebende Autorin Andrea Wulf hat sich schon für ihren Bestseller Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur von 2016 in das Leben und Werk des großen Naturforschers gestürzt. Zusammen mit der amerikanischen Illustratorin Lillian Melcher begleitet sie Alexander von Humboldt und seine Gefährten auf ihrer 5jährigen Reise durch Süd- und Mittelamerika. Dabei arbeiten sie nicht nur mit Tagebüchern und Handschriften – die Opulenz des Bandes entsteht vor allem durch eine Vielzahl unterschiedlicher grafischer Elemente, die zu großen Teilen Originalmaterialien aus dem 19. Jahrhundert entstammen: Neben Zeichnungen von Humboldt und seinen Zeitgenossen griff Melcher auf Pflanzenproben zurück und arbeitete mit Karten, Stichen und Illustrationen sowie zeitgenössischen Aquarellen. Daraus entsteht eine collagierte Welt, die so undurchdringlich und fantastisch ist, wie Humboldts Reisegruppe den unbekannten Kontinent erlebt haben muss. Gleichzeitig weht ein Wind der Furchtlosigkeit und Begeisterung durch diese Bilderwelt, dass man sich auch in einem Roman von Jules Verne befinden könnte.

Es ist eine unfassbare Reise, die Humboldt von 1799 bis 1804 unternahm. Im Juli 1799 landet er an der südamerikanischen Küste. Pflanzen sammelnd, Temperaturen messend und Karten zeichnend bewegt er sich mit einer kleinen Reisegruppe durch den Dschungel, fährt wilde Flüsse hinunter und besteigt jeden Vulkan, der auf seiner Route liegt. Er überquert die Anden, landet auf Kuba und reist durch Mexico. Am Ende statt er Thomas Jefferson einen Besuch auf der Baustelle des Weißen Hauses ab. Als er nach 5 Jahren nach Europa zurückkehrt, wird ihn die Dokumentation seiner Reise und seiner Forschungsergebnisse Jahrzehnte beschäftigen…

Andrea Wulf: Die Abenteuer des Alexander von Humboldt. Illustriert von Lillian Melcher. Aus dem Englischen von Gabriele Werbeck. C.Bertelsmann 2019

Humboldt war, auch davon erzählt Andrea Wulf, kein Meister der Bescheidenheit. Seine Furchtlosigkeit grenzte oft an Rücksichtslosigkeit, er hielt nichts von Zurückhaltung, was auch für das Erzählen über die eigenen Leistungen gilt. Mit seinen Forschungen hat er aber auch früh darauf hingewiesen, wie alles in der Natur miteinander zusammenhängt – und vor der Zerstörung der Umwelt durch den Menschen gewarnt. In Die Abenteuer des Alexander von Humboldt lässt sich all dies auf mitreißende, intensive Weise erfahren – auch für Erwachsene!