Wenn das Wasser steigt

Finsterer, schwärzerer als dieser spannungsgeladene Thriller aus der Feder von Dolores Redondo geht es kaum. Dabei fängt Wenn das Wasser steigt eigentlich fast hoffnungsfroh unweit des schottischen Glasgow an. Jahrelang hat Noah Scott Sherington damit verbracht, den „Bible John“ genannten Serienmörder zu verfolgen, seit der Ende der 60er Jahre die ersten Frauen grausam ermordet hatte. Inzwischen schreibt man das Jahr 1983. Da begegnet ihm an einem Bahnübergang das Auto eines Mannes, der während der Ermittlungen als Verdächtiger im Fokus der Polizei stand: John Clyde. Einer Eingebung folgend, fährt Sherrington ihm nach. Und tatsächlich: Am Ufer eines abgelegenen Sees, inmitten eines heftigen Unwetters wird der Detective kurz darauf den gesuchten Serienmörder stellen. Auf Seite 44 von 541.

Dann: Herzinfarkt. Herztod. Wiederbelebung. Dilatative Kardiomyopathie. „Sie haben noch ein paar Monate…“ Bible John ist längst über alle Berge bzw. in diesem Fall: auf hoher See. Der todkranke Detective folgt ihm nach Bilbao. Nördliches Spanien, doch auch hier nichts von Sonne und Leichtigkeit, sondern Düsternis, Regen, endlose Nacht. Die Autorin, selbst Baskin, kennt den Ort genau, an dem sie die tiefschwarze Handlung ihres an Tatsachen angelehnten Romans ansiedelt.

“Bilbao war Glasgow, und der Nervión war der River Clyde mit seinem von den Schiffsschrauben aufgewirbelten Schlamm, den Abflüssen der Kanäle, und seinem braunroten Wasser. Die rauchenden Stahlfabriken und Werkstätten am Ufer wirkten riesig neben den Gleisen.“

Tourismuswerbung klingt anders. Während Sherrington nicht nur dem erneut und wiederholt zuschlagenden Bible John auf den Fersen ist, sich in eine baskische Wirtin verliebt und gegen das eigene Sterben ankämpft, bereitet sich Bilbao auf eine Jahrhundertflut vor, die in der alles entscheidenden Nacht die Stadt härter treffen wird, als – so Wikipedia – die fast 50 Hochwasser in den 500 Jahren davor.

Dolores Redondo: Wenn das Wasser steigt. Aus dem Spanischen von Anja Rüdiger. btb 2025

Redondo malt das alles mit leidenschaftlichen, starken Pinselstrichen, immer bereit, noch eine Schippe Dramatik draufzulegen. Die Anspielungen an biblische Ereignisse sind dabei keinesfalls zufällig: Wenn das Wasser steigt erzählt von den grausamen Abgründen der Menschen ebenso wie von ihrer Kraft zu Hoffnung, Vergebung und – ja –  Wiederauferstehung. Noah Scott Sherington trägt seinen Namen nicht umsonst. Erwartet die Leser also 500 Seiten nach dem ersten hoffnungsfrohen Ausgang ein neuer Lichtblick?