Wir Klimawandler

"In diesem Buch geht es um Menschen, die Probleme zu lösen versuchen, die Menschen beim Versuch, Probleme zu lösen, geschaffen haben."

Das sind eine ganze Menge Probleme für einen nicht mal so langen Satz, doch dieser Satz beschreibt in a nutshell das ganze Programm dieses erhellenden Buches:

Erstens: Der Klimwandel ist das Problem der Menschheit im 21. Jahrhundert, verbunden mit so unerfreulichen, nicht mehr zu leugnenden Phänomenen wie Umweltzerstörung oder Artensterben. In diesem Buch findet sich keine Stimme, die das leugnet. Zweitens – und das ist die eigentlich niederschmetternde (aber leider auch nicht mehr wirklich überraschende) Botschaft: Allein mit den momentan diskutierten Methoden, die innerhalb eines wahnsinnig kurzen Zeitraums eine Senkung der CO2-Emissionen gen Null zum Ziel haben, ist das Weltklima wohl kaum noch zu retten. Es braucht neue Lösungsansätze und Technologien, mit denen der Mensch die Natur der Zukunft retten kann. Wie das geht? Womöglich indem er noch weitaus größenwahnsinniger in die Natur eingreift, als er es in der Vergangenheit getan hat. Drittens: Diese Ansätze mögen noch so ambivalent sein – sie verdienen eine vorbehaltlose, sachliche Erörterung. Natürlich ist auch Skepsis angebracht. Und viertens: Davon kann man – wie Elizabeth Kolbert in Wir Klimawandler – auch noch höchst spannend, kenntnisreich und pointiert erzählen.

Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft

Die Pulitzer-Preisträgerin widmet sich in drei großen Kapiteln verschiedenen Bereichen, in denen der Mensch in die Natur eingegriffen hatte – wobei er statt Problem zu lösen, eben neue schuf. In Flussabwärts erzählt sie von waghalsigen Versuchen, die Flusslandschaften von Chicago River und Mississippi zu verändern. Ein Kampf auf verlorenem Posten, wie sich anhand der Geschichte der Stadt New Orleans abzeichnet: der Mensch griff schon in die Natur ein, als er erste Siedlungen im Mississippi-Delta anlegte; alle Bemühungen der letzten Jahrhunderte dienen letztlich dazu, die sich daraus ergebenden Probleme zu beheben. Nur kehren die Probleme eben immer wieder – und die Dimension der notwendigen Eingriffe wird immer größer.

Auch auf der Reise In die Wildnis zeigt sich diese kafkaske Dynamik: mit immer absurderem Aufwand versucht der Mensch, Arten zu retten, die er selbst in die für sie missliche Lage gebracht hat. Besonders beeindruckend ist, wie Molekularbiologen versuchen, das Sterben der Korallenriffe durch "assistierte Evolution" aufzuhalten. Das erschreckende Fazit: Auch wenn die Natur schon lang nicht mehr "natürlich" ist, die Natur der Zukunft wird eine menschengemachte sein – oder sie wird nicht sein.

Was dann folgt, könnte auch einem Science-Fiction-Szenario entstammen. Es geht In die Luft. Kolberts zahlreiche Gesprächspartner aus Wissenschaft und Forschung lassen keinen Zweifel daran, dass das 1,5-Grad-Ziel mehr als nur "sportlich" ist: Um die CO2-Emissionen auf der erforderliche Maß zu senken, wären international immense Anstrengungen nötig. Weswegen kein Weg daran vorbei führt, sich mit Themen wie "Negativ-Emissionen" oder "Solar-Geoengineering" auseinanderzusetzen. Ob CO2-Abscheidung oder Sonnenstrahlungsmanagement: die Spannung, die Elizabeth Kolbert mit ihren Recherchen aufbaut, lässt sich kaum aushalten.

Hier all die Probleme, die wir größtenteils selbst geschaffen haben und die unsere Zukunftsaussichten verdüstern – dort eine Reihe von Ansätzen, von denen keiner sagen kann, ob sie Teil der Lösung werden oder nur eine neue Dimension von Problemen auslösen. Vielleicht steckt darin ein ernüchternder, realistischer Blick auf die conditio humana als solcher?

Elizabeth Kolbert: Wir Klimawandler. Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft. Suhrkamp 2021