Steinigung

Kriminalromane sind ja schon immer die spannenderen Reiseführer – da sind auch die im Stuttgarter Polar Verlag erscheinenden Bücher keine Ausnahme. In dessem überschaubaren, aber verlässlich anspruchsvollen Katalog findet sich mit Dark Places sogar eine eigene Reihe, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, den Leser dorthin zu führen, wo er im Traume nicht freiwillig aufwachen möchte: an die dunkelsten Flecken weltweit, wobei die äußere Verlassenheit und Bedrohlichkeit naturgemäß mit der inneren, mentalen Verfasstheit der Menschen an diesen Orten korrespondiert.

So auch im ersten Kriminalroman des australischen Autors Peter Papathanasiou. In das kleine Kaff Cobb im australischen Outback verirrt sich wahrlich kein Tourist. Dafür aber erweist sich der an eine von den Zeiten geschliffene Western-Stadt erinnernde Ort zwischen leergefegten Straßen und zwei miefigen Pubs als Brennspiegel einer sozialen Spannung, die erschreckend vertraut vorkommt: Am Rand der Stadt befindet sich ein großes Internierungslager, das „Braunenhaus“, in dem die Einwanderer nicht nur verwahrt sondern im Zweifel auch gefoltert werden, bevor über ihr weiteres Schicksal entschieden wird.

“Multikulti ist krachend und vollständig gescheitert“,

Peter Papathanasiou: Steinigung. Aus dem australischen Englisch von Sven Koch. Mit einem Nachwort von Lore Kleinert. Polar Verlag 2023

so die vorherrschende Meinung im Ort. Dabei war das nicht immer so: Nach dem 2. Weltkrieg noch kamen aus der „alten“ Welt – auch aus Deutschland – Einwanderer nach Australien, um dort ein besseres, freieres Leben zu führen. So auch die Eltern des Ermittlers George Manolis, der in Cobb aufwuchs, bevor er in die Großstadt ging: als Sohn griechischer Einwanderer, die dort lange Zeit ein sehr beliebtes griechisches Café führten. Die Einwohner erinnern sich an diese goldene Zeit als ein harmonisches, besseres Zeitalter, in dem Gemeinschaft und Gastfreundschaft groß geschrieben wurden. Nun aber, ein halbes Jahrhundert später, ist davon nicht viel geblieben; und die Einwanderer, die nun in Booten nach Australien fliehen, auf der Flucht vor den Kriegen und Krisen in ihren Heimatländern, finden wenig Gastfreundschaft vor.

Als die Englisch-Lehrerin Molly ermordet wird, die ein großes Herz nicht nur für Kinder sondern auch für die benachteiligten Einwanderer im Lager hatte, brechen all die versteckten, totgeschwiegenen oder absichtlich ignorierten Konflikte in Cobb auf – und Manolis sieht sich vor der Aufgabe, allen Widerständen zum Trotz den Schuldigen zu finden. Armut, Alkoholismus, Drogenhandel sind nur ein Ausschnitt des Problems, und an die Seite der Ausländerfeindlichkeit gesellen sich Aggressionen gegen Homosexuelle ebenso wie die omnipräsente, wie selbstverständliche Gewalt gegen Frauen.

Keine Frage: die vermeintliche Steinigung von Molly Abbott ist nichts anderes als die Spitze des Eisberg – und Cobb ist das australische „Herz der Finsternis“, ein dark place, wie Sie ihn so schnell nicht noch einmal besuchen möchten. Der hier angesiedelte Kriminalroman allerdings ist nicht nur an Spannung kaum zu überbieten; über die Kriminalhandlung hinaus erweist sich Papathanasiou auch als meisterhafter Beobachter gesellschaftlicher Spannungen, die die Dark Places Australiens mit den hiesigen leider verbindet.