Kälter

Ein Thriller, der als Inselkrimi auf Amrun beginnt und nach kurzer Zeit durch einige rasant erzählte Ereignisse in Richtung Agententhriller abbiegt, nach einem Ausflug nach Tel Aviv im Berlin der Wendezeit landet und auf den Spuren eines RAF-Terroristen durch die halbe Welt jettet: Wenn jemand in Deutschland so etwas glaubwürdig und fesselnd schreiben kann, dann Andreas Pflüger.

Der erfahrene Drehbuchautor (u.a. für den Tatort) hat 2004 seinen ersten Roman Operation Rubikon geschrieben und erkundet seitdem akribisch die Welt der Geheimdienste und Personenschützer. Ich habe vor zwei Jahren meinen ersten „Pflüger“ gelesen, den großen, erschreckenden Roman Wie Sterben geht. Zwischen der ausblutenden, brutalen Sowjetunion und dem BND, quer durch Zeitebenen und (verdeckte) Identitäten hindurch schildert Pflüger darin auf beklemmende Weise das Schicksal des KGB-Offiziers Rem Kukura und der deutschen Nina Winter. Beide müssen lernen, „wie Sterben geht“….

In Pflügers neuem Roman, Kälter, haben die beiden Ex-Agenten einen überraschenden Auftritt mit ihren neuen Identitäten. Sie leben in Südfrankreich, Blick aufs Meer: „wie aus einem Film, den es noch nicht gibt“, so heißt es, „vielleicht mit dem Titel Wie Leben geht“. Tatsächlich zieht sich ein leiser Hang zur Selbstironie durch den ansonsten für Pflüger typisch knallharten Actionthriller. Etwa wenn die Hauptfigur Lucy Morgenroth (sic!) im November 89 in einer Ostberliner Kneipe einem Zigarre rauchenden Mann begegnet und Tage später just dieser Mann in einer Talkshow als wichtiger deutscher Dramatiker vorgestellt wird, der gern Anekdoten zum Besten gibt.

Morgenroth lernen wir als Streifenpolizistin auf Amrun kennen, Kette rauchend, übergewichtig, aber eigentlich recht glücklich. Fünf Männer sind es, die auf die Insel kommen – und nichts ist wie vorher. Der beschaulich elegische (und nichtsdestotrotz hochspannende) Prolog mündet in eine furiose Actionszene, an deren Ende die Wiedergeburt von Lucy Morgenroth als einstige Personenschützerin steht. Schon ist man mittendrin im „Pflüger-Kosmos“ von Geheimdiensten, BKA und Terroristen. Was folgt, ist ein 400seitiger Rachfeldzug quer durch Europa.

“Du willst den gefährlichsten Mann der Welt töten. Der von der mächtigsten Organisation geschützt wird, die es gibt. Jeden anderen würde ich für wahnsinnig erklären. Dich nicht.“

Kälter ist fesselnd und atemlos geschrieben, Pflüger weiß, wie man effektiv, wirkungsvoll, filmisch erzählt. Das Buch steckt voller Figuren aus anderen seiner Romane, voller Geschichten und Nebenschauplätze, die die Geschichte von Lucy Morgenroth und ihrem schlimmsten Feind mit Leben füllen. „Fünf große Actionkapitel gibt es in Kälter, jedes zehn Seiten lang,“ erzählt Andreas Pflüger im Interview. Die Seiten schlagen sich fast von allein um, so atemberaubend ist das Geschehen. Und Pflüger braucht jede einzelne Seite, bis zur letzten, um von der Rache dieser wütenden Frau zu erzählen.

Andreas Pflüger: Kälter. Suhrkamp Verlag 2025