Kreativität

Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht?

Das von Corona geprägte Frühjahr lag noch nicht weit zurück, da wurde ich gefragt, wie mir die Kreativität durch die Krise half. Meine Antwort fiel leider recht desillusioniert aus:

Eine andere Antwort wäre mir lieber, aber mir selbst hat die Kreativität in der Krise gar nicht geholfen. Eher im Gegenteil. Das hat vielleicht ganz persönliche Gründe. Aber ich habe selten so viel Druck gehabt, wie im letzten halben Jahr, und gleichzeitig so wenig Zeit, so wenig Kraft. Man hörte ja von allen Seiten von Entschleunigung, das war für mich komplett utopisch. Da hätte ich gern etwas von gehabt, vielleicht wäre dann mal was aus dem lange erträumten Romanprojekt geworden… Nein: nichts da. Mit Familie, der Aufteilung des Homeoffice in eine Arbeitssphäre und einen Schulbereich, dem völligen Wegfall der Trennung zwischen Arbeit und Privat, zunehmend nervös werdenden Auftraggebern und vor allem der omnipräsenten Verunsicherung zeigte die Arbeit als Kreativer und das bis dahin unerschütterliche Hochhalten der eigenen Selbstverwirklichung seine Zähne. In der Situation dann auch noch kreativ sein zu sollen, hat mich komplett überfordert. Ich hätte buchstäblich lieber Brötchen gebacken.

Auf die Pandemie geht auch die in Köln lebende Autorin Melanie Raabe in ihrem Buch über Kreativität ein – und tatsächlich war die Aussicht auf einen zweiten Lockdown (light) nach der Überforderung im Frühjahr für mich ein Grund, ihr Buch darüber, wie Kreativität uns mutiger, glücklicher und stärker macht, zu lesen. Die Antwort ist recht simpel:

Kreativität kann uns auf doppelte Art aus der Patsche helfen. Zum einen kann sie uns ganz pragmatisch dabei helfen, gut – oder zumindest: besser – durch eine Krise zu kommen. (...) Und dann kann sie uns auch dabei helfen, emotional besser mit den Auswirkungen einer Krise fertigzuwerden.

Kreativität: tut einfach gut. Wirkt problemlösend. Bietet ein Ventil. Oder anders: "Kreativität ist die Fähigkeit in uns, die Zauberei am nächsten kommt. Mit dieser Fähigkeit können wir die Welt verbessern, verschönern. Nicht nur berühmte Künstlerinnen oder geniale Erfinder. Wir alle."

Mmh. Das klingt phantastisch, fast zu schön, um wahr zu sein. Nicht nur weil sich das so gar nicht mit meinen Problemen im Frühjahr deckt, frage ich mich: Stimmt das auch? Was ist mit den Grautönen, den Schattenseiten, all dem, was sich der kreativen Lösung widersetzt, sich nicht in den Griff bekommen, nicht einfach verschönern lässt? It's magic – und alles ist bunt?

Für wen ist dieses Buch geschrieben?

Kreativität. Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht ist ein Buch für Jedermann, egal ob (werdender) Schriftsteller*in, Kreativarbeiter*in oder Hobbykünstler*in, Familienmutter, Koch. Es ist, so Raabe, ein Buch für "durchschnittliche Menschen". In diesen Formulierungen schon zeigt sich das Problem, das ich mit dem Buch habe: in ungezwungenem Plauderton, sprachliche Unschärfen inbegriffen, werden vermeintlich allgemeingültige Ratschläge auf Basis der eigenen Erfahrungen gegeben, die irgendwie für Alle und Keinen gelten.

Wenn du bereits kreativ arbeitest – sei es beruflich, sei es privat –, dann ist dieses Buch für dich. Wenn du glaubst, dass du überhaupt nicht kreativ bist, es aber gern wärst, dann ist es erst recht für dich. Denn eines weiß ich ganz sicher: Wir alle sind kreativ.

Melanie Raabe: Kreativität. Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht. btb 2020

Im Grunde ist das die Kernaussage: Schreiben, malen, nähen, kochen, improvisieren, Probleme lösen – alles Kreativität. Schon da gerät das Buch für mich in eine problematische Schieflage. Denn ob ich auf Alltags- oder Ausnahmesituationen kreativ reagiere oder – wie viele Tipps in dem Buch nahelegen – mit Produktivitätstechniken und kreativen Methoden mitunter langwierige Projekte verfolge, ist in meinen Augen sehr wohl ein Unterschied! Melanie Raabe indes spaziert recht sorglos zwischen Arbeitspychologie, Mutmacher-Tipps für beginnende Freiberufler und Achtsamkeit im Alltag einher. So entsteht ein recht verschwommenes Bild von Kreativität als Supermacht, die durch schwierige Zeiten hilft. Im besten Fall zumindest eine locker lesbare Achtsamkeitsschule, im schlechteren Fall eine Instagram-Welt voll von eigener Meinung und ungefiltert ausgebreiteten Erfahrungen – erstaunlicherweise aber merkwürdig unkreativ dargeboten.

Natürlich wird es Leser*innen geben, die hier Inspirationen oder gar Anleitungen für ihre kreativen Tätigkeiten finden. Manche Leser*innen werden das meiste einfach selbst wissen oder kennen. Und andere dürften von den zahlreichen Erfahrungen, die ihnen Melanie Raabe mit auf den Weg gibt, eher erschlagen werden.

Ich für meinen Teil – der ich zwar kreativ arbeite, gleichzeitig aber den Wunsch verspüre, kreativer zu sein – fühlte mich erstaunlich wenig gemeint, erstaunlich wenig inspiriert, weil in dem Buch von Melanie Raabe doch vieles sehr allgemein (zu wenig "zielgruppenspezifisch", um mal ein Wort aus meinem Arbeitsalltag zu verwenden?) bleibt. Mir haben da zuletzt Bücher von Susanne Niemeyer oder Doris Dörrie sehr viel mehr geben können.

Fazit

Kreativität. Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht ist, wie es der Titel schon nahelegt, ein Buch in Rosarot. Alles kann, nichts muss. Hier wird aus dem Nähkästchen geplaudert, werden Szenen aus dem eigenen kreativen Alltag geschildert, ohne jemanden überfordern zu wollen. Als Ratgeber funktioniert das nur sehr bedingt. Doch wie formuliert es Frank Berzbach in dem Beinah-Standardwerk Die Kunst ein kreatives Leben zu führen:

Die Werkzeuge, um ein Leben zu ändern, sind keiner Menüleiste zu entnehmen.

(Wenn es aber darum geht, die eigene Kreativität auf eine verlässlichere Grundlage zu stellen, liefert Berzbach erstaunlicherweise eine ganze Reihe von grundlegenden Einsichten. Mein Lektüre-Tipp!)